Montag, 9. Februar 2015

Ich

Ich bin jetzt anders. Sie haben mich verändert. Haben mich gestählt, haben mir die Furcht genommen. Das dachte ich jedenfalls. Ihr alle redet davon wie hart ihr doch seit, wie euch nichts schocken kann, wie ihr die körperliche wie seelische Zerstörung von Materie als Witz dartellt. Habt ihr schonmal gesehen, wie jemandem die Haut abgezogen wird oder sein Gesicht durch Hammerschläge zerspringt? Nein, aber ihr redet drüber, als ob es ein KIinderscherz ist. Habt ihr euch schon die Klinge ins Auge gestoßen und es euch herausgeschält? Natürlich nicht. Ich habe eure Götter geschlachtet, habe sie lachend in die Futtermühle geworfen und zugesehen, wie ihre Körper von den Klingen zerfetzt wurden. Sie haben das Grauen getötet, ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Kinderunterhaltung. Kommt mit mir, ich zeige euch die Realität.
Stellt euch vor, ihr seid in einem der Länder, die ihr unter das Joch des Krieges legt. Stellt euch vor, ihr stolpert weinend eine Straße hinunter, die von Leichen und Trümmern gesäumt ist. Eure Mutter wurde soeben von einer Schrotladung in Stücke gerissen. Euer Vater wurde von den Soldaten tot geprügelt. Eure Geschwister, vielleicht drei und sieben Jahre alt, liegen mit dem Gesicht unten im Garten. Weil sie kein Gesicht mehr haben, die Kugeln haben es abgerissen. Überall sterben Menschen. Ich weiß, lustig nicht wahr? Aber stellt euch vor, ihr seid der, der rennen muss.
Stellt euch vor, ihr seid in einem Land, fern weg, so dass die anderen Länder zwar sagen "Guckt euch an, was da los ist." aber einen Scheißdreck sich sonst stören. Eine Seuche hat die Bevölkerung dezimiert, überall laufen kranke Menschen rum, ihr lebt in der Angst nicht mehr lange zu leben. Ihr könnt nichts essen, nichts trinken nicht richtig atmen. Da alles verseucht ist. Die Leiber eurer Freunde und Familien liegen in irgendwelchen Kalkgruben, sodass sie nicht stinken. Ihre Gesichter flehen stumm um Erlösung, denn in den letzten Minuten ihres Lebens, welches sie mit euch teilten, litten sie Höllenqualen und wünschten sich nichts anderes als zu sterben. Ich weiß, lustig nicht wahr? Aber stellt euch vor, ihr seid der, der sie verbrennen muss.
Stellt euch vor, ihr werdet Nachts überfallen. Ihr liegt nichts böses ahnend in euren Betten. Schließlich leben wir in einer tollen Gesellschaft, wo alles gut und kontrolliert ist, richtig? Ihr hört jemanden unten im Wohnzimmer. Dort wo ihr mit eurer Familie vor dem überteuerten Fernseher sitzt, wo ihr die staatliche Propaganda schluckt, dass alles in eurem Land in Ordnung ist. Ihr schaut nach, was los ist und schon werdet ihr niedergeschlagen. Ihr müsst zusehen, wie eure Eltern, eure Frau und Kinder oder eure Geschwister gefesselt werden, ihr nur da stitz und nichts tun könnt. Ihr müsst zusehen wie eure Frau vergewaltigt wird, oder eure Eltern erschlagen. Stellt euch vor, ihr seid der, der zugucken müsst.
Stellt euch vor, ihr geht in eine Bank, nichts ahnend. Ihr wartet ein paar Minuten, als auf einmal ein Wagen in das Gebäude fährt. Maskierte Räuber sprigen heraus, eröffnen das Feuer auf euch. Der Bankangestellte von gerade, der soeben noch der alten Nachbarin die Rente ausgezahlt hat, wird zersprengt, seine Innereien fliegen durch den Raum. Überall schreien Menschen, Kinder weinen, Frauen kreischen. Ihr kauert euch unter einem Tisch zusammen und seht Kinder sterben, Menschen werden abgeschlachtet, für Geld. Ihr werdet entdeckt, hoch gerissen und bekommt eine gefälschte Waffe in die Hand gedrückt . Draußen hört ihr schon die Polizei. Euch wird eine Granate in den Gürtel gesteckt, und ihr werdet gezwungen vor die Tür zu gehen. Ihr öffnet die Türen der Bank, wollt der Polizei erklären was los ist, aber schon eröffnen die Polizisten das Feuer. Stellt euch vor, ihr seid der, der niedergeschossen wird.
Stellt euch vor, ihr seid jung und geht friedvoll einen Waldweg entlang. Ihr erfreut euch des Sommers, der euer Kleid so schön zur Geltung bringt. Ihr freut euch auf morgen, wo ihr euch mit euren Freunden trefft und Spaß haben werdet. Mit einem Mal werdet ihr von hinten gepackt und euer Mund wird euch zugehalten. Eure Augen werden verbunden und ehe ihr euch verseht, landet ihr auf der Ladefläche eines Vans. Ihr fahrt in ein altes Fabrikgebäude, wo ihr in einen Keller gesperrt werdet. Stundenlang vergeht sich euer Entführer an euch. Ihr habt keine Chance, euch zu wehren oder zu schreien. Nur stumm dazuliegen und es zu ertragen. Das geht über Wochen so. Wochen voller Angst, Qual und Schmerzen. Ihr wisst, ihr kommt hier nie wieder heraus. Und dann eines Tages, hört ihr Lärm. Euer Peiniger kommt herein, ein Knall und Schreie ertönen. Ihr spürt wie etwas warmes auf eueren nackten Körper klatscht. Dann fällt ein Körper zu Boden. Eure Augenbinde wird abgenommen und ihr seht, wie Polizisten in den Raum drängen. Es ist ein dunkles feuchtes Kellerverlies. Ihr seid mit dem Schädelinhalt eures Entführers, eures Peinigers, eures einzigen Freundes der letzten Wochen bedeckt. Seine Leiche liegt mit halben Kopf am Boden. Stellt euch vor, ihr seid die, die enführt wurde

Spüre meinen Schmerz

Das warme Blut lief an ihrem Handgelenk herunter und tröpfelte leise in das Wachbecken vor ihr. Trotz der Schmerzen, die sie verspürte, lies sie das Messer nicht ruhen. Das leicht schmunzeln, dass ihre Lippen zierte, war von Tränen begleitet. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Zopf zusammen gebunden, dennoch vielen ihr einige Strähnen ins Gesicht. Hinter den Gläsern ihrer Brille schimmerten ihren blauen, ja fast grauen Augen hervor. Ihren Ärmel hatte sie an dem linken Arm hochgekrempelt. Die rechte Hand hielt ein ausgeklapptes Taschenmesser. Ihr Blut war noch so rein, doch sie verschwendete es. Zwar konnte sie es immer runter schlucken, wenn sie wieder diese Beleidigungen hörte, oder die leichten Wunden davon trug, doch das ihr niemand half brachte sie um den Verstand. Ihr Selbstbewusstsein wurde immer kleiner, bis sie ihnen glaubte, dass sie nichts wehrt sei. Sie fand sich jeden Abend um Punkt 8 Uhr genau in diesem Zimmer wieder. Das Bad ihres Hauses. Dann schnitt sie sich vorsichtig das Handgelenk auf und vergoss etwas von ihrem Blut. Der Schmerz tat ihr gut! Er zeigte ihr, dass sie noch lebte. Doch niemand würde es nachvollziehen. Sie lies es niemanden erfahren. Ihr Pullover war immer extra groß, damit sie keine Schwierigkeiten damit hatte, die Wunden zu verbergen. Es machte es ein wenig schwer, mit ihrer Größe noch einen zu großen Pullover in der Damenabteilung zu finden. Daher trug sie immer Männeroberteile. Es gab manchmal Ausnahmen, doch dann zog sie sich Handschuhe an, die definitiv über die Wunden reichten. Niemand wusste es. Vielleicht ahnten manche etwas, doch sie lies es sich auch nicht anmerken. Das sie sich manchmal nur zurück ziehen wollte, konnte sie auch nicht verhindern, aber sie wusste doch, das niemand ihr helfen würde.
Nachdem sie sich wieder das Blut abgewaschen hatte, zog sie ihren Ärmel wieder runter und schloss die Badtür auf. Sie setzte sich in ihr Zimmer und zog ihr Handy hervor. Sie verlor sich vielleicht etwas in der Welt des Internets, doch es hatte auch seine Vorteile. Sie konnte mit den einzigen zwei Leuten schreiben, bei denen sie das Gefühl hatte, dass sie sie verstehen würden. Beide waren etwas älter als sie und hatten so ziemlich das selbe hinter sich gebracht. Durch ihre beiden Freundinnen Maraike und Kristin hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie machte dies nun schon so lange, dass sie flinke Finger hatte, was das tippen am Handy betraf. Es viel ihr nicht schwer, einige Sätze in Sekunden zu schreiben. Während sie so schrieb, hörte sie eigentlich immer Musik. Mal war es etwas Techno artiges, oder auch mal Dubstep. Wenn es ihr richtig schlecht ging, hatte sie ihre „Depri CDs“ um sich etwas wohler zu fühlen. Manchmal weinte sie dabei, oder sang jedes Wort mit. Das hing vom Tag ab. An diesem Tag ging es ihr noch schlechter, da sie bald Geburtstag hatte und niemanden zum feiern hatte.Maraike wäre wahrscheinlich die einzige, die mit ihr feiern würde, so hatte sie das Gefühl. Kristin hatte sie übers Internet kennengelernt, was zur Folge hatte, dass sie weit auseinander wohnten. Doch wenn sie mit ihr schrieb, fühlte sie sich ihr ganz nah! Heute war sie sehr müde, was sie den Entschluss hat machen lassen, dass sie früh schlafen wollte. Sie ging noch einmal hinunter, um sich noch etwas zu trinken zu holen und sah dort ihre Mutter auf dem Sofa sitzen. „Hey!“ Sagte sie schlaff. „Ich geh gleich ins Bett!“ Ihre Mutter schaute auf. „Huch, warum so früh?“ Kam die leicht kratziege Stimme ihrer Mutter. „Bin halt müde!“ Die Frau auf der Couch setzte ihr Rotweinglas an die Lippen und nahm ein kleinen Schluck. „Na, wenn du meinst!“ Ihr Blick viel zu dem Handgelenk des jungen Mädchens. Zu dessen Pech war die Wunde noch am bluten und ihr Oberteil war weiß! „Was ist das?“ Fragte Frenzin. „Das? Das ist nur... Ich hab mir wohl meine Neurodermitis aufgekratzt!“ Die erwachsene schüttelte den Kopf. „Du sollst doch nicht kratzen!“ Das Mädchen nickte. „Ich weiß!“ Eigentlich kratze sie kaum noch an den wunden stellen der Hautkrankheit, doch es war eine gute Ausrede. Schnell ging das Mädchen in die Küche, goss sich etwas zu trinken ein, trank es in einem Zug aus und verschwand dann wieder die Treppen hoch in ihr Zimmer.

Sie erinnerte sich nicht daran, was sie geträumt hatte, als sie aufwachte. Ein Blick auf die Uhr genügte, um ihr zu sagen, dass sie mal wieder verschlafen hatte. Einmal nachgedacht und ihr viel ein, dass es ihr mal wieder nichts ausmachte. Sie stand auf und legte sich in Gang. Sie wusste nicht, warum, aber heute verspürte sie den Drang vor der Schule nochmal ins Bad zu gehen und ihr Messer zu zücken. Sie zog sich schnell an und schloss sich im Bad ein. Wieder eine neue Wunde, wieder das warme Blut, wieder die verkniffenen Tränen. Doch es war ihr so Routine, dass sie es schaffte sich schnell danach wieder zu beruhigen. Da sie keine Zeit mehr zum Frühstücken hatte, oder sich diese nahm, war sie auch schon wieder fast auf dem Weg in die Schule. Sie zog ihre Jacke an, ihre Schuhe und öffnete dann die Tür. „Bis nachher!“ Rief sie in die Wohnung hinein. Von ihrer Mutter erhielt sie ein „Schönen Schultag“ und stellte dann ihren Ranzen in den Fahrradkorb. Es regte leicht, was sie sehr genoss. Die kleinen Kälte Tröpfchen, die ihr ins Gesicht flogen sorgten für ein leichtes kribbeln auf der Haut. Nachdem sie für einen Augenblick die Kälte genossen hatte, schloss sie ihr Fahrrad auf und begann los zu fahren. Da sie nur zwei Kilometer von ihrer Schule entfernt wohnte, brauchte sie auch nicht sehr lange zu fahren. An einer Stelle musste sie halten, da sie die Bahnübergänge überqueren musste und ein Zug gerade kam. Sie sah den Zug immer näher kommen. Sie hatte den Gedanken, wie einfach es doch wäre, alles zu beenden, doch sie wartete zu lange. Schon war der kurze Zug vorbei. Sie schüttelte kurz den Kopf über sich selbst, bevor sie weiter fuhr.
Wenig später kam sie an ihrer Schule an. Im Hand umdrehen hatte sie ihr Fahrrad angeschlossen und trabte in ihre Klasse. Kaum dort angekommen, kamen wieder die Beleidigungen. Sie legte kurz ihre Sachen an ihren Platz, um danach dann in die Nebenklasse zu gehen, wo eine Freundin von ihr war. „Morgen Lisa!“ Begrüßte sie mit etwas leiserer Stimme ihre Freundin, mit den Becken langen Harren. Diese drehte sich sofort um. „Hey!“ Unglaublicher weise war Lisa an diesem Morgen etwas ruhiger als sonst. Merkte sie, dass es der Blondine heute nicht so gut ginge? Die Brillenträgerin aber schien dies nicht zu interessieren. Sie hatte eine Hand in die Hosentasche gesteckt, in der sie ihr Taschenmesser versteckt hatte. Unbemerkt spielte sie leicht nervös damit. Doch, sie hatte nicht viel Zeit, um mit ihrer Freundin zu reden, da die Lehrerin in die Klasse kam, und sie sich schnell aus dem Staub machen musste. Sie ging wieder in ihre Klasse, wo auch der Lehrer eingetroffen war. Sie bekam den Unterricht kaum mit. Sie war in Gedanken die ganze Zeit über woanders. Um genauer zu sein, war sie mit ihren Gedanken an einem Waschbecken. Sie verstand nicht, warum, aber sie hatte heute einen stärkere Drang dazu. Es dauerte gefühlt Ewigkeiten, bis es endlich zur Pause klingelte. Doch, als diese dann endlich erreicht war, machte sich das Mädchen sofort auf den Weg zu den Toiletten. Da in ihrer Schule auch die Wachbecken abgetrennt wurden, konnte sie es unbemerkt machen. Noch einmal einen Blick über die Schulter geworfen und dann das Messer gezückt. Schnell stellte sie denn Wasserhahn an, damit auch ja niemand etwas hören konnte. Sie schob ihren Ärmel hoch und setzte die Klinge an. Langsam zog sie das Messer zurück und lies es fein säuberlich die Haut durch schneiden. Doch, es hatte nicht diesen leicht befriedigenden Effekt, wie sonst. Diesmal war es nur Schmerz. Ein wenig erschrocken fing sie einen neuen Schnitt an. Es war das gleiche. Nur Schmerz. Diese Tatsache machte sie leicht wütend. Wieder schnitt sie sich. Diesmal etwas tiefer. Das Blut war mittlerweile zu einem Rinnsal geworden. Es sorgte dafür, dass sich das Wasser rötlich färbte. Noch ein Einschnitt und noch einer! Doch es half nichts! Es kam nur Schmerz über sie. Als sie schließlich verstand, was sie da tat, hatte sie schon einen großen Teil ihrer Haut durch schnitten. Sie verlor nicht gerade wenig Blut. „Kiara?“ Erklang eine leise Stimme hinter ihr. Das hilflose Mädchen drehte leicht den Kopf zur Seite, um heraus zu finden, wer sie da angesprochen hatte. Eine Mitschülerin sah sie mit weit aufgerissenen Augen erst in ihre Augen, dann auf das stak blutende Handgelenk.
„Was machst du da?“ Fragte sie weiter. Kiara sah kurz zu ihrem Handgelenk, dann zu der anderen. „Ich erleide Schmerzen!“ Stellte sie fest. „Warum tust du dir so etwas an?“ Die Stimme war so leise, dass man kaum etwas verstehen konnte. „Das interessiert dich wohl eher wenig!“ Sie zog ihren Ärmel wieder über die Wunde, was allerdings nicht viel half. In ihr staute sich ein wenig Wut an. Warum hatte sie sich nur erwischen lassen? Sie war zu dem auch noch durcheinander. Sie verstand nicht, warum ihre Mitschülerin so etwas wie Mitleid zeigen sollte. Sie war so durch den Wind, dass sie einfach wieder zurück ging. Ihre Wunde hatte sie vergessen und das Messer, dass sie noch immer aufgeklappt in der Hand hielt, mit Blut beschmiert. Sie ging wieder in ihre Klasse. Eine kleine Blutspur war hinter ihr. Alle, die dies bemerkten, sahen sie erschrocken an. Kiara aber versuchte nur ihre Gedanken zu sortieren. Sie ging schnell an ihren Platz und setzte sich. Ihr Blick starr ins Nichts. Ihre Mitschülerin, die sie auf der Toilette erwischt hatte, war ihr eilig gefolgt und versuchte nun, mit ihr zu reden. Aber keine Stimme drang zu dem verschreckten Mädchen durch. Schließlich aber passierte das, was wohl jeder hätte vorher sehen müssen. Jemand setzte sich auf den Tisch von Kiara und schaute zu ihr herab. „Hast du dich echt geritzt?“ Lachte die leicht kratzige Stimme Marcells. „Gott, ist die dumm!“ Kam die Stimme von Greg. „Wie kommt man nur auf eine so behinderte Idee?“ Lachte Lukas. Kiara war verzweifelt. Was konnte sie jetzt noch machen? Jetzt konnte sie nicht um sich selbst trauern. Sie spürte noch immer den stechenden Schmerz, der von ihrem Handgelenk her kam. Mit der rechten Hand umklammerte sie fest ihr Taschenmesser. Langsam biss sie die Zähne fester aufeinander. „Warum hast du dich nicht gleich umgebracht?“ Grinste Emil. Deren ständigen Witze! Wut stieg in dem Mädchen hoch.
Weiter prasselten die Witze der Jungen auf sie nieder. Doch dann war der Punkt erreicht. Kiara sprang auf, packte Marcell am Oberteil und schrie: „Spür meinen Schmerz!“ Ohne weiter nach zu denken, rammte sie ihr Messer zwischen die Rippen des Jungen. Dieser konnte nur mit aufgerissenen Augen zu der Wunde schauen. Alles war still geworden und wie in Zeitlupe sickerte das Blut aus der Wunde. Marcell sah noch ein letztes mal zu Kiara, bevor er zur Seite kippte. Kiara hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, ihm zu helfen. Ihr zuvor noch von Wut zusammengepresstes Gesicht hatte sich jetzt leicht gebessert. Ihre Lippen umspielten ein leichtes Lächeln. Alle starrten auf das Mädchen. Sie zog das Messer aus der Wunde und betrachtete das frische Blut, das leicht rosa schimmerte. Ein funkeln stach aus ihren Augen. Sie schaut langsam zu Emil, Greg, Lukas und den anderen. „Ich hab es verstanden!“ Flüsterte sie. „Meine Schmerzen befriedigen mich nicht mehr!“ Langsam richtete sie sich gerade auf. „Ich brauche die Schmerzen der anderen!“ Sie lachte etwas, selbst erstaunt durch diese Kenntnis. Ihr Blick richtete sich noch einmal zu Marcell, der langsam aber sicher verblutete. Sein Atem war schwach und kaum zu bemerken. Dann, als sie endlich alle Informationen verarbeitet hatte, grinste sie breit. Ihre Stimme erhoben zu einem Lachen. Ein Lachen, das jedem eine Gänsehaut bescheren würde. Es war geprägt von Kälte, Frust und leid. Dann erhob sie ihren Arm und rammte ihr Messer in die Schulter von Emil. Dieser schrie kurz auf. Sie aber drückte das Messer tiefer hinein und bohrte leicht umher. Freudig und gespannt auf das Blut biss sie sich auf die Unterlippe. Sie riss das Messer nach vorne. Sie schaffte es nicht einfach, dass Messer so heraus zu reißen, da das Schlüsselbein im Weg war. Sie aber nahm das Messer wieder aus der Wunde und schlug ihm auf den Brustkorb. Sein Schreien hallte in dem Klassenzimmer wieder.
Endlich realisierte jemand die Situation. Chris, der wohl beste Freund von Kiara in dieser Klasse, rannte schnell heraus. Kiara entging dies nicht. Sie hatte jedoch keine Lust, irgendwen hinter her zu laufen, daher beschloss sie das weite zu Suchen. Sie stach ihr Messer in Noahs Herz und rannte dann hinaus. Ihr lachen halte hinter ihr her. Alles verstummte, wo sie hinkam. Sie schnappte sich ihr Fahrrad und fuhr schnell los.
Erst am Abend kam sie nach Hause. Doch nur, um sich etwas zu Essen zu holen. Sie schloss auf, doch was sie dort erwartete, versetzte ihr einen Schlag in den Magen. Denn, kaum hatte sie die Tür geöffnet, trat ihr Bruder in die Tür zum Treppenhaus. Er hatte ein Telefon in der Hand, dass er sich an sein Ohr drückte. „Ja! Sie ist es!“ Sagte er knapp und legte dann auf. „Wer war das?“ Fragte Kiara leicht verängstigt. Erik sah auf das Telefon, dann wieder zu seiner Schwester. „Es war eine Mitschülerin von dir, die sich Sorgen macht.“ Nicht ganz sicher, ob sie ihm glauben sollte, blieb sie dort stehen, wo sie war. Ihr Bruder ging wieder ins Wohnzimmer, als ob nie etwas war. Das Mädchen noch immer leicht verwirrt ging in ihr Zimmer. Schnell nahm sie einen Rucksack und ein paar Klamotten, die sie in diesen rein stopfte. Ein seltsames Gefühl sagte ihr, dass sie nicht hier bleiben konnte. Kaum, dass sie fertig war, lief sie schon wieder runter. In der Küche kramte sie nach einem Messer. Sie musste sich bewaffnen. Zudem hatte sie wieder Lust auf diesen Kick, den sie hatte, als sie die beiden aus ihrer Klasse tötete. Sie hatte schnell ein passendes gefunden. Als sie sich eine Regenfeste Jacke nehmen wollte, sah sie, dass ihre Geschwister, so wie ihre Mutter, im Wohnzimmer versammelt waren. „Was ist hier los?“ Fragte sie misstrauisch. Als ihre Schwester ansetzten wollte, etwas zu sagen, als ein leises Geräusch erklang. Kein zweifel! Es waren Sirenen! Kiara verstand, dass ihr Bruder die Polizei gerufen haben musste. Wieder kam Wut in ihr auf. „Ihr habt mich verraten?“ Schrie sie. „Es ist nur zu deinem Besten!“ Versicherte ihre Mutter. „Am Arsch!“ Fluchte sie und holte mit ihrem Messer aus. Ihr Bruder war wohl darauf vorbereitet gewesen, denn er zückte ein eigenes. Kiara, geschockt von dem Anblicks des Messers, hielt kurz inne. Sekunden, die entscheident waren! Ihr Bruder holte nach ihr aus und traf sie am Auge. Ihre Brille fiel zu Boden und ihr Auge fing an zu Bluten. Sauber hatte er einen Schnitt über ihr linkes Auge vollzogen. Die Wunde reichte bis tief in ihr Gesicht. Durch das Blut, dass sich in ihrem Auge verteilte, lief ihre Iris Blutrot an. Ebenso ihre Pupille. Sie war auf diesem Auge blind!
Eine Wut sammelte sich in ihr. Sie hörte, wie die Polizei vor ihrem Haus hielt und einige Türen zu geschlagen wurden. Gleich wären die Polizisten hier. Sie hob langsam ihre Brille auf und setzte sie wieder auf. Sie lächelte sanft, als sie wieder zu ihrem Bruder schaute. „Das war aber nicht nett!“ Stellte sie fest. Erik sah sie mit großen Augen an. Die Schwester von Kiara tat es ihm gleich. Die Blondine hielt Erik eine Hand entgegen. „Gib mir das Messer!“ Ihre Stimme war sanft, während das Blut über ihre Lippen floss. „Nein!“ Versuchte er mit starker Stimme zu sagen. Sie verkrafte sich etwas. „Gib es mir!“ Sie biss die Zähne zusammen. „Nein!“ Er wich einen Schritt zurück. Sie hob das eigene Messer. „Willst du es darauf anlegen, Bruderherz?“ Sie lachte leicht verrückt. „Deine Schmerzen würden mir eine Menge Freude bereiten!“ Er sah sie unverständlich an. „Was ist aus dir geworden?“ Sie umgriff stärker das Messer. „Was interessiert dich das? Das hat euch doch noch nie interessiert! Ich war euch doch immer egal!“ Sie stach ihr Messer in den Brustkorb ihres Bruders. „Wenn man überleben will, sollte man auf niemanden Vertrauen! Nur auf sich selbst!“ Sie nahm das Messer, was ihr Bruder noch hielt, dann fiel er zu Boden. „Warum tust du so etwas?“ Schrie ihre Schwester. Ihr rollten einige Tränen über die Wangen. Kiara schien dies nicht zu kümmern. „Du hast es eigentlich nicht verdient,von mir verschont zu werden! Aber da ich hier weg muss, hast du Glück!“ Sie ging zu der Hintertür des Hauses, die aus Glas war. Sie schlug mit beiden Messern dagegen, so dass das Glas zersplitterte. Sie rannte schnell hinaus. Sie lies ihr früheres Leben einfach hinter sich.
„Ich grüße sie zu den Nachrichten um Acht! Es wird ihnen sehr geraten, vorsichtig zu sein, da heute Mittag ein Schulmädchen erst zwei ihrer Mitschüler getötet hatte und dann ihren Bruder. Sie ist auf freien Fuß. Sie ist ungefähr ein Meter Fünfundsiebzig. Blonde Haare eine lilane Brille. Mit sich hat sie nur einen rosanen Rucksack mit schwarzen Blumen drauf. Sie ist auf dem linken Auge blind. Ihre eigentliche Augenfarbe ist blau-grau. Ihr linkes Auge ist allerdings rot angelaufen. Wenn sie jemanden sehen, der auf diese Beschreibung zu trifft, melden sie sich bitte umgehend bei der Polizei!“

Von Monstern

Er war tot, so viel war klar. Sie schaute in Panik von dem regungslosen Körper auf der Straße zu der eingedellten Haube ihres BMW´s. Sie war schon früher aus Schwierigkeiten herausgekommen, doch nichts in dieser Größenordnung. Dies schien nicht wie etwas, dass sie einfach ungeschehen machen konnte. Sie brütete über der gebrochenen Gestalt zu ihren Füßen. Er schien obdachlos zu sein, alte, speckige Kleidung, gräuliche Züge, - 

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Scheiße, sogar für eine Leiche sah er kränklich aus. Am Rand der Straße war ein Abflussgraben... nun, die Chancen standen gut, dass niemand ihn vermissen würde.

Es kostete nicht viel Kraft seine ausgemergelte Gestalt hineinzustoßen. Ihre kranke Erleichterung wurde jedoch jäh unterbrochen, als eine Hand sich um ihre Kehle schloss. Eine raue Stimme flüsterte ihr ins Ohr: "Nur, dass du es weißt, ich esse nur die, die versuchen einfach zu gehen, hätte dich gehen lassen, wenn du versucht hättest, zu helfen." Er brach ihr Genick, beinahe sanft, um ihr in die Augen zu sehen. "Wir sind beide Monster, meine Süße. Ich bin nur aufrichtiger dabei."

Die geheimnisvolle Decke



Traurig zog Sebastian seinen schweren Koffer die Treppe hinauf, die Stufen waren wackelig und er musste aufpassen, dass er nicht stolperte. Alles an diesem Haus war wackelig, berichtigte sich Sebastian. Dann erreichte er sein Zimmer. Es war winzig, mit einen kleinen Fenster aus dem er auf die Betonwand der Garage schauen konnte und einer wirklich hässlichen Tapete. Er hasste es genauso wie das ganze Haus. Warum konnten sie nicht wieder in Essen wohnen, in dem Haus ganz in der Nähe des Spielplatzes? Es hatte einen großen Garten, wo er immer mit seinem Vater Fußball gespielt hatte und sein Zimmer dort war ungefähr dreimal so groß wie hier gewesen. Er wollte wieder dorthin zurück, zu seinem Zimmer, zu seinen Freunden. Aber als sein Vater arbeitslos geworden war, mussten sie das Haus verkaufen und sich das Billigste suchen was sie finden konnten. Und das war eben diese Bruchbude hier in Wanne-Eickel gewesen. Alle taten so als wenn das Haus fast so hübsch wäre wie ihr altes, aber Sebastian merkte das die ganze Familie hier unglücklich war. Er nahm seinen leeren Koffer und ging den Flur entlang bis er die Tür zum Dachboden fand, öffnete die Luke, zog die Leiter herunter und wagte vorsichtig bepackt mit seinen Sachen den Aufstieg. Obwohl es unglaublich heiß dort oben war, stellte er doch begeistert fest, wie groß der Dachboden doch ist. Er war sich sicher, von nun an mehr Zeit hier oben zu verbringen. Der erste Schultag war eine Katastrophe.
Die neue Schule war schrecklich und seine Mitschüler ärgerten ihn, weil sein Vater arbeitslos war. Ihm wurde schon nach dem ersten Tag klar, dass er dort keine Freunde finden würde. Deshalb wurde der Dachboden für Sebastian Tag für Tag immer mehr zum Zufluchtsort und es machte ihm Spaß, dort zu spielen und jede Ecke zu erkunden. Eines Tages macht er es sich mal wieder auf dem Dachboden bequem, als er merkte, wie lose eins der Dielenbretter war. Vorsichtig hebelte er das Brett heraus und wollte es gerade wieder verkehrt herum einsetzen, als er sah, dass sich etwas darunter befand. Unter dem Dielenbrett war ein Geheimversteck. Vorsichtig nahm er das kleine Päckchen, dass sich darin befand heraus und legte es vor sich auf den Boden. Langsam wickelte er das Papier auf und war ein wenig enttäuscht, weil sich darin nur eine alte Decke befand. Sie war recht dünn und auf ihr glitzerten Tausende von silbernen und goldenen Fäden, aber er könnte sich vielleicht beim Lesen auf sie setzen und sich damit zudecken. Fortan benutzte er die Decke regelmäßig und fragte sich warum der ehemalige Besitzer sie so versteckt hatte.
Eines Nachmittags hörte er seine Mutter in der Küche und beschloss sie ein bisschen aufzumuntern. Sie wirkte in letzter Zeit immer sehr niedergeschlagen und Sebastian wusste, dass auch sie mit der Situation nicht glücklich war. Also ging er hinunter in die Küche und bevor er eintrat schwang er die Decke über seinen Kopf. Langsam schlich er auf Zehenspitzen in den Raum, bis er genau hinter seiner Mutter stand. Er wartete bis sie sich umdrehte und hoffte, dass er ihr einen gehörigen Schrecken einjagen konnte. Nach einer scheinbaren Ewigkeit drehte sich seine Mutter um und ging an Sebastian vorbei zum Tisch. Komisch, dachte er, sie musste mich doch gesehen haben. Damit sie ihn nicht wieder übersah stellte er sich genau vor den Tisch. Aber seine Mutter ging auf ihn zu, schaute ihm direkt ins Gesicht und ging dann links an ihm vorbei um den Tisch zu decken. Jetzt verstand er, seine Mutter wollte ihn ärgern und tat so als wenn sie ihn nicht sah, er war ja schließlich ein Gespenst. Als sie aber nach zehn Minuten das Spiel nicht auflöste, wurde er die Sache mulmig. Er beschloss sie anzusprechen und so das Ganze offiziell aufzulösen. „Hallo, Mama“, sagte Sebastian. Seine Mutter schaute vom Herd auf und in Richtung Tür „Gut, dass du kommst, du kannst mir beim Kochen helfen. Komm rein, ich bin in der Küche.“ Sebastian suchte im Gesicht seiner Mutter nach Anzeichen dafür, dass sie immer noch scherzte. Aber sie sah völlig ernst aus. Als sie sich wieder dem Herd zu wandte, zog er rasch die Decke vom Kopf und ließ sie zu Boden fallen. Seine Mutter schrie laut auf: „Mein Gott Sebastian, hast du mich erschreckt, wo kommst du denn so plötzlich her?“'
Als er später wieder in seinem Zimmer im Bett lag, grübelte er darüber nach, ob seine Mutter ihn nur ärgern wollte oder ob sie ihn wirklich nicht gesehen hatte. Er entwickelte einen Plan um ganz sicher zu gehen und schlief dann ein. Am nächsten Morgen stand er ganz früh auf und streifte sich die Decke über den Kopf. Als er hörte wie sein Vater sich der Tür näherte, stellte er sich mitten in den Türrahmen. Gespannt wartete Sebastian und einige Sekunden später öffneten sein Vater die Tür. Er schaute ins Zimmer und sah durch ihn durch. „Sebastian, aufstehen, du musst zur Schule.“ Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand in Richtung Küche. Sebastian war so schockiert, dass er sich im ersten Augenblick gar nicht rührt konnte. Die Decke machte einen wirklich unsichtbar, auch wenn er es nicht glaubt konnte. Jetzt verstand er auch, warum sie so gut versteckt gewesen war. Vorsichtig faltete er sie zusammen und verstaute sie im Schrank. Während des Frühstücks und später in der Schule dachte er darüber nach, welche Möglichkeit sich ihm nun boten. Als erstes würde er seiner Schwester davon erzählen.
Als die Glocke endlich zum Schulschluss läutete, eilte er nach Hause um schnell zu ihr zu kommen. Lily saß in ihrem kleinen Zimmer direkt neben seinem, auf dem klapprigen Bett und las. Die verblasste rosa Tapete blätterte schon von der Wand und um die flackernde Glühbirne hatte sich ein Wasserfleck gebildet. Lily war tief ihn ihr Buch versunken und bemerkte ihn nicht. Sebastian musterte sie. Ihre kurzen rotblonden Haare standen in alle Richtungen ab. Der ausgeblichene grün-weiß gestreifte Pyjama hing schwabbelig an ihr herunter. Sie hatte dunkle Augenringe, denn in letzter Zeit schlief sie sehr schlecht. Sie hatte eine Erkältung und ging deswegen nicht zur Schule.
Ein Wunder, dass ich in dieser Bruchbude noch nicht krank geworden bin, grübelte Sebastian vor sich hin. Er stupste Lily an und sie schreckte hoch. „Basti, was willst du?“ Sebastian nahm ihr das Buch aus der Hand und legte es auf den Nachttisch, der gefährlich schwankte. „Was soll denn das?“ Sebastian setzte sich zu ihr aufs Bett, das unter dem Gewicht stöhnte, und begann zu erzählen: „Du kennst doch den Dachboden“, Lily nickte genervt, „stell dir vor, ich hab unter einem der Dielenbretter  eine alte Decke gefunden.“ Sie rollte mit den Augen: „Und das ist jetzt die tolle Neuigkeit?“ Sebastian hob einen Finger und fuhr fort: „Wie du vielleicht bemerkt hast, ist Mama nicht besonders gut darauf, deswegen habe ich mir die Decke übergestreift um sie damit aufzumuntern. Doch als ich vor ihr stand hat sie mich nicht gesehen. Ich hab es erst für ein Spiel von ihr gehalten, doch dann habe ich es heute morgen bei Papa ausprobiert. Auch er hat mich nicht gesehen. Diese Decke macht unsichtbar.“ Lily starrte ihn an, als wäre er nicht von dieser Welt. Dann fing sie lauthals an zu lachen. Sebastian schaute sie verständnislos an. „Ich meine das ernst. Ich kann es dir beweisen.“ Er holte die Decke aus seinem Schrank, stellte sich vor Lily und zog sie sich über den Kopf. Sebastian grinste bei dem Gedanken an ihr Gesicht. „Sebastian?“ Lily war aufgestanden, streckte die Hände aus und suchte nach ihm. Er musste sich das Lachen verkneifen. Als sie direkt neben ihm stand schnellte ihre Hand auf ihn zu und riss die Decke im hohen Bogen nach oben. „Bist du nicht zu langsam zu alt für so einen Unfug?“ Sie lachte wieder. „Mama und Papa haben sich bestimmt nur einen Spaß erlaubt.“ Sebastian riss die Decke wieder an sich und stürmte in sein Zimmer. Er knallte die Tür zu, so, dass die Wände wackelten, und warf sich schluchzend aufs knackende Bett. Sebastian hasste es, wenn seine große Schwester ihn nicht für voll nahm. Warum hat es nicht funktioniert? Haben sich seine Eltern wirklich nur einen Spaß erlaubt? Sein toller Fund war also nur eine alte muffige Decke. Er kroch unter sie und schloss die nassen Augen.
Als Sebastian verschlafen unter der Decke hervor schaute, dämmerte es. Er warf einen Blick auf seinen Wecker, der trotz des ganzen Rostes noch einwandfrei lief.
8:29 Uhr. Es war noch sehr früh am Morgen. Normalerweise schlief Sebastian samstags bis 11 Uhr. Er rollte sich wieder zusammen, doch konnte er nicht mehr einschlafen. Seufzend stand er auf. Alle anderen schliefen noch. Als er das Fenster öffnete wehte eine kühle Brise ins Zimmer und füllte seine Lungen mit frischer Luft.
Jetzt musste er überlegen. Die Geschichte mit der Decke ließ ihm keine Ruhe. Die ganze Nacht hatte er von ihr geträumt. Seine Eltern konnten ihn scheinbar nicht darunter sehen, denn sonst hätten sich seine Mutter und sein Vater bestimmt erschrocken. Doch Lily konnte ihn sehen, als er sich die Decke vor ihren Augen übergezogen hatte. Vielleicht lag es auch am Altersunterschied? Er setzte sich an seinen morschen Schreibtisch, nahm ein Stück Papier und einen Stift und begann aufzuschreiben, was er bisher hatte. Nach einer Ewigkeit und vielen Papierkugeln später schaute er sich seine Notizen an. Bei seiner Mutter und seinem Vater war er immer schon unter der Decke zu ihnen gekommen. Bei seiner Schwester hatte er sich die Decke vor ihren Augen übergezogen. Das müsste doch heißen, dass er, nur wenn ihn keiner sah, unsichtbar wurde. >So muss es sein,< dachte Sebastian, >dass muss ich gleich ausprobieren.< Er nahm die Decke, zog sie sich über den Kopf und schlich zum Zimmer seiner Schwester, ungeachtet dessen, das sie noch schlief. Sie lag im Bett und rasselte leicht beim Atmen. „Lily wach auf.“ Lily zog eine Schnute und drehte sich um. Sebastian rüttelte an ihrem Arm. Da öffnete sie die Augen. „Basti, es ist mitten in der Nacht.“ „Nein, es ist 9 Uhr“ Sie richtete sich auf. „Was soll das, ich versuche zu…“ Sie schaute sich im Zimmer um. „Sebastian?“ „Ja?“ Lily rollte mit den Augen. „Komm raus, ich habe keine Lust auf Versteckspiele.“ Basti konnte es nicht fassen. Seine Schwester schien durch ihn durch zu sehen. „Ich stehe doch genau vor dir.“ Lily wurde sauer. „Ich bin müde und habe jetzt echt keinen Bock auf deine schlechten Scherze!“ Jetzt war der Moment gekommen. Mit einem Ruck war die Decke runter. Sie stieß einen erstickten schrei aus und starrte mit weit aufgerissenen Augen ihren Bruder an. >Jetzt muss sie mir glauben<, dachte Sebastian stolz. Lilys Mund klappte ein paar mal auf und zu. Sie schien nach Worten zu suchen. Nach einer Weile hatte sie sich wieder etwas beruhigt. „Wie hast du das gemacht?“ „Ich sagte doch, die Decke macht unsichtbar, aber nur, wenn niemand sieht wie man sie sich über den Kopf streift.“ Lily fing an zu lächeln. Es klang unglaublich. Eine Decke die tatsächlich unsichtbar macht! „Das will ich auch ausprobieren.“ Sebastian war unsicher, ob er ihr die Decke wirklich geben sollte. Würde er sie von ihr wiederbekommen? Schließlich gab er ihr die Decke unter einer Bedingung: „Ich will sie direkt, nachdem du sie ausprobiert hast, wiederhaben.“ „Ist ja gut“, sagte Lily und nahm sie entgegen. Sebastian drehte sich um und wartete, dass seine Schwester sich die Decke über den Kopf zog. „Und?“ Er drehte sich um. Lily war nicht mehr zu sehen.
Den ganzen Tag über versteckten sie sich im Haus. Der Suchende hatte die Decke um, damit es spannender wurde. Nach einer Weile machte Lily den Vorschlag, dass derjenige, der sich versteckt, die Decke bekommt. „Aber dann finden wir uns ja nie!“ „Dann müssen wir eben Geräusche machen.“ „OK, aber wir verlassen nicht das Haus und ich fange an.“ Fröhlich versteckte er sich in einem leeren Küchenschrank und deckte sich mit der Decke zu. Ab und zu machte er leise „Buhu!“ damit Lily nicht verzweifelte. Er kicherte bei dem Gedanken, dass sie jetzt durchs Haus irrte und ihn suchte. Plötzlich öffnete sich die Schranktür und seine Mutter schaute hinein. Sebastian hielt die Luft an. Sie hatte ihm eigentlich verboten, sich hier zu verstecken. Ihr Blick wanderte einmal von links nach rechts, dann schloss sie mit einem „Mhmm“ die Tür. Sebastian atmete erleichtert auf. Für diesen kurzen Moment hatte er vergessen, dass man ihn nicht sehen konnte. Da hörte er wie jemand anderes in die Küche kam und alles abzusuchen schien. Das musste Lily sein. Er stieß wieder ein „Buhu“ aus. Schon öffnete sich die Schranktür wieder und Lily steckte ihren Kopf herein. Sie tatstete langsam den Innenraum ab bis sie einen Zipfel der Decke fühlte und daran zog. Da hockte Sebastian und grinste sie an! Sie mussten lachen. „Du hast dir ganz schön Zeit gelassen“, sagte Sebastian spöttisch. Lily nahm die Decke an sich, schaute sich kurz im Raum um und meinte: „Jetzt bin ich dran. Am besten zählst du bis 10 und kommst dann raus und suchst mich.“ Sebastian nickte. Er begann zu Zählen: „1, 2… 5, 6… 8, 9, 10!“ Dann krabbelte er aus dem Schrank und fing an zu suchen. Er lief durch die ganze Küche, dann durch den knarzenden Flur zum Schlafzimmer der Eltern. Ab und zu blieb er stehen und horchte. Er konnte Lily noch nicht hören. Aber auch als er oben in ihren Zimmern nach ihr suchte, konnte er sie nicht finden. Als letztes blieb ihm noch der Dachboden. Langsam kletterte er den Aufstieg nach oben. Dort angekommen lauschte er. Doch auch hier vernahm er keinen Laut von ihr. Es fing an, keinen Spaß mehr zu machen. Sebastian rief nach ihr, doch sie antwortete nicht. „Lily komm raus, du hast gewonnen, ich kann dich nicht finden.“ Er lief das komplette Haus noch einmal ab, doch sie antwortete nicht. Als er seine Mutter fragte wo Lily sei, meinte sie das Lily raus wollte, ein bisschen frische Luft schnappen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sebastian konnte es nicht fassen. Lily hatte sich mit seinerDecke aus dem Staub gemacht! Wütend ging er in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett. Dort machte er sich die ganze Zeit Gedanken, wie er sie anmeckern könnte.
Nach gut 2 Stunden kam Lily wieder. >Jetzt ist sie dran,< dachte Sebastian. Er stürmte in ihr Zimmer, wo sie schon auf dem Bett saß und las. „Warum bist du einfach mit meiner Decke abgehauen?!“ Sie schaute ihm empört an. „Deine Decke? War ja klar, dass du wieder alles für dich haben willst. Das ist wenn dann meine Decke. Ich bin immerhin die Ältere.“ Sebastian konnte es nicht fassen. Das hatte sie gerade nicht wirklich gesagt! „Ich habe sie gefunden, also gehört sie mir!“ Lily machte eine abweisende Handbewegung. „Geh endlich aus meinem Zimmer, bevor ich Papa rufe.“ Sebastian stürmte regelrecht zurück in sein Zimmer. Jetzt war das Maß endgültig voll! Er nahm sich ein Blatt und entwarf einen Racheplan. Lily sollte nicht ungestraft davon kommen!
Doch mitten im Planen hielt er inne. Was tat er da eigentlich? Nur, weil seine Schwester mit der Decke draußen war und ihn reingelegt hatte, musste er ihr doch nicht gleich etwas Schlimmes antun. Auch die Decke durfte sie mit benutzen, er hatte ihr davon ja schließlich nicht nur erzählt, damit sie ihn bewundert. Sebastian bekam ein schlechtes Gewissen. Er wollte zu Lily und sich entschuldigen. Als er ins Zimmer kam, lag sie auf dem Bett mit ihrem Buch. Sie sah ziemlich sauer aus. „Lily?“ „Was willst du?“ fauchte sie zurück. Doch als sie sein trauriges Gesicht sah, schaute sie runter. „Es tut mir Leid, dass ich dich angeschrien habe. Ich war sauer, weil du dich mit der Decke einfach aus dem Staub gemacht hast.“ „Mir tut es auch Leid. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich mit der Decke nach draußen wollte.“ Die beiden fielen sich um den Hals. „Also gibst du mir die Decke zurück?“ Ihre Miene wurde wieder düster. „Soll das heißen, dass du sie immer noch für dich beanspruchen willst?“ Sebastian wollte schon kontern, als er an seinen Racheplan dachte. Sie stritten sich wegen der Decke. Nur weil sie einer besitzen und der andere das nicht einsehen wollte. „Warte, so kann es nicht weiter gehen. Vielleicht sollten wir sie zurück bringen. Ich will mich nicht mit dir streiten.“ Lily überlegte. Sebastian hatte Recht. Die Decke war der einzige Grund, warum sie stritten. Sie nickte zaghaft. Sie holte die Decke unter ihrem Schrank hervor und zusammen gingen sie auf den Dachboden. Sebastian musste nicht lange suchen um die Stelle wieder zu finden, wo er die Decke gefunden hatte. „Aber was ist, wenn einer von uns sie sich wiederholt? Immerhin kann sie unsichtbar machen.“ Das war natürlich ein Argument. Doch Sebastian war zuversichtlich: „Ich glaube kaum, dass einer von uns das lange vor dem anderen geheim halten könnte.“ Mit diesen Worten holte er das Papier, in dem die Decke eingewickelt war, aus dem Geheimversteck. „Basti schau, auf dem Papier steht etwas!“ Sebastian musterte das Papier und tatsächlich: Auf der Innenseite stand etwas in einer krakeligen Schrift. Warum war ihm das nicht beim Öffnen aufgefallen? Seine Schwester nahm das Schriftstück in die Hand und begann zu entziffern:
An den Finder: Diese Decke hat nur Unglück über uns gebracht. Wir haben uns zerstritten, weil niemand sie im Besitz des Anderen sehen wollte. Also nimm dich in Acht, wenn du jemandem von ihr erzählst, denn sonst geht es dir genauso wie mir.“
Lily und Sebastian schauten beide bedrückt zu Boden. Hätte er das von Anfang an gewusst, dann hätte er den Streit vermeiden können. „Vielleicht wäre es besser, wenn sich niemand mehr mit der Decke plagen muss.“ Sebastian schaute Sie fragend an. „Wie meinst du das?“ Sie nahm die Decke und ging nach unten. Sebastian folgte ihr zu Ihrem Vater. „Papa? Können wir ein Feuer im Garten entfachen? So wie früher in einer löcherigen Tonne?“ Da begriff Sebastian was sie vorhatte. Der Vater schaute die beiden stirnrunzelnd an, dann lächelte er. „Warum eigentlich nicht?“ Sie versammelten sich im kleinen Graten und der Vater holte ein paar alte Holzreste. „Lily, pass kurz auf das Feuer auf, ich hole etwas zum Nachlegen.“ Jetzt oder nie. Sebastian holte schnell die Decke unter der morschen Gartenbank hervor und Lily warf sie in die Tonne. Sie brannte so schnell, dass ihr Vater nichts bemerkte.
Nachdem das Feuer am Abend ausgebrannt war, gingen sie zu Bett. Sebastian schlief bei Lily. Beide waren froh, dass alles vorbei war. Am nächsten Morgen wurden sie durch ein Geräusch geweckt. Sebastian stand auf und tapste zum Fenster. Als er hinaus sah, wurde er kreidebleich „Was ist denn los?“ „Da wühlt jemand in unsere Tonne.“ Er klang fast heiser. „Na und? Mehr als Asche ist da nicht drin.“ Lily kam zu ihm und sofort verstand sie: Draußen an der Metalltonne stand ein alter Mann in zerrissenen Sachen und in seiner Hand hielt er die Decke.